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Zum Umgang mit der DDR-Literatur: Tagung (Infos)

verfasst von Beate(R), 21.06.2019, 06:44

DEBATTE ÜBER OSTDEUTSCHE AUTOREN
»Selbst Christa Wolf wurde ›geschlachtet‹«
Wie wird heute mit DDR-Literatur umgegangen? Fragen aus Anlass einer Tagung am Sonnabend. Gespräch mit Ronald Weber
Interview: Arnold Schölzel

Ronald Weber ist Literaturwissenschaftler und jW-Redakteur

»Leseland ist abgebrannt? Zum Umgang mit der DDR-Literatur nach 1990«. Tagung am Sonnabend in Leipzig, Villa Davignon, Friedrich-Ebert-Str. 77, 10 bis 17 Uhr. Eintritt 4 Euro.

Information: marx-engels-stiftung.de

An diesem Sonnabend findet in Leipzig eine Tagung statt, die den Umgang mit DDR-Literatur nach 1990 zum Inhalt hat. Sie haben 2018 eine Biographie zu Peter Hacks vorgelegt. Warum interessiert sich ein junger Westdeutscher wie Sie für ostdeutsche Literatur?

Wer in den 2000er Jahren Literaturwissenschaft studierte, kam an Heiner Müller nicht vorbei. Das öffnete den Blick auch für andere Autoren. Hinzu kam, dass ich in einem politischen Umfeld sozialisiert worden bin, das ein eher positives Verhältnis zur DDR hatte oder doch zumindest Verständnis für ihre Probleme.

Hat dieses Kennenlernen Ihre politische Haltung beeinflusst?

Das war bei den Büchern von Hermann Kant in Bezug auf den Faschismus auf jeden Fall so. Sein »Impressum« habe ich früh gelesen. Auch Werner Bräunigs »Rummelplatz« und Brigitte Reimanns »Franziska Linkerhand« waren prägend. Beides sind Romane, bei deren Lektüre man viel über den Sozialismus lernen kann.

Gewissermaßen wie Nachrichten aus einem fernen und untergegangenen Land?

Ja, natürlich, man liest das heute wie Heinrich oder Thomas Mann: Man bekommt ein Bild von der geistigen Zeitsituation. Das gilt nicht nur für die großen DDR-Romanen, sondern auch für die Dramatik. Man denke an Peter Hacks und seine wunderbar leichten Stücke aus den 1960er Jahren. In der Kurzprosa von Hermann Kant oder Günther Rücker ist zudem auf eine sehr angenehme, lustige Weise viel über die Schwierigkeiten und Widersprüche im Sozialismus zu lesen.

Hat die Arbeit an der Hacks-Biographie Ihren Blick auf die DDR-Literatur noch einmal verändert?

Ja, sehr. Ich habe viele Dramentexte aus den späten 40er und 50er Jahren von Autoren gelesen, die heute kein Mensch mehr kennt. Dadurch bekommt man einen Eindruck vom Gesamtbild. Auch mein Blick auf die Kulturpolitik hat sich verändert, die keineswegs monolithisch, sondern höchst widersprüchlich war.

In der politischen sowie der Wirtschaftsgeschichte gab es Zeiten des Aufschwungs und der Stagnation – und in der Literatur?

Ab Mitte der 1950er Jahre blühte die Dramatik. Da trat eine neue Generation an, deren Fixstern Brecht war. Bei den Romanen begann der Aufschwung Anfang der 60er Jahre mit der »Ankunftsliteratur«, für die Christa Wolf und Brigitte Reimann stehen. Ähnlich ist es mit der Lyrik: Sarah und Rainer Kirsch, Karl Mickel und viele andere wären hier zu nennen. Der Grundton ist bei aller Kritik optimistisch, hoffnungsfroh. Das wird fortgeführt bis in die 70er Jahre. Danach setzt sich die Auffassung durch, dass es mit diesem Sozialismus nicht gehen wird. Natürlich erscheinen auch in den 80er Jahren in der DDR noch wunderbare Texte, aber der Schwung ist einfach weg.

DDR-Literatur wurde in den 70er Jahren in der BRD viel gedruckt. Nach 1990 dominierten Behauptungen, es habe keine gegeben, sondern nur Agitation. Wie ist der Stand heute?

1990 hat das westdeutsche Feuilleton in der sogenannten deutsch-deutschen Literaturdebatte den Stab über die DDR-Autoren gebrochen. Selbst Christa Wolf wurde »geschlachtet«. In der Literaturwissenschaft spielt das heute keine Rolle mehr. Wer noch immer behauptet, die Ost-Autoren seien nur Funktionäre und Auftragsschreiber gewesen, stellt sich selbst ins Abseits. Es gibt aber noch das alte politische Spiel: Weil Kant oder Hacks sich nicht von der DDR distanziert haben, begegnet man ihnen mit Distanz.

Was bleibt?

Das wird sich erst in 50 oder 60 Jahren herausstellen. Dazu wird sicherlich auch die Kinderliteratur gehören, die seit geraumer Zeit immer wieder neu aufgelegt wird.

Quelle: junge Welt vom 21.06.2019, Feuilleton, Seite 8
http://www.jungewelt.de/artikel/357...sta-wolf-wurde-geschlachtet.html

 

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