vergessen? oder verdrängt? (Gesellschaft)
merkwürdig, irgendwie hatte ich völlig vergessen oder verdrängt, daß ich selbst mal die erinnerungen von barbara thalheim rezensiert habe. und also seit dem jahr 2000 gewußt hab, daß barbara thalheim IM war. aber sieben jahre sind lang. ich hatte es tatsächlich vergessen. oder verdrängt?
wens interessiert, hier ist die rezension:
Viele Geschichtchen
In der Erinnerung riecht es nach Fallobst und nach Fisch. Zumindest bei Gerhard Schöne. Bei Barbara Thalheim muggt es. Manchmal muggt es auch nicht, denn in der DDR wurde nicht einfach gesungen, sondern die sozialistische Unterhaltungskultur gepflegt. Da paßte dann so mancher lange Bart nicht ins Bild einiger Kulturoffziere. Dann schrieb die Chansongruppe Berlin schnell einen Brief an Erich Mielke, Gott hab ihn selig, und alles war wieder gut. „Mitarbeida“ boten eine Tournee durch alle Kasernen der NVA an. Das lehnt Barbara Thalheim natürlich ab.
In diesem Stil geht es weiter. Mehl auf vorübergehende Passanten, die beim heiteren Melodienraten verloren haben, Dieter Mann mit einer Freundin in der ersten eigenen Wohnung von Thalheim beim Techtelmechtel, Herman van Veen, der nur Augen für Thalheims Freundin Aurora, aber offenbar keine für Barbara hat, und andere schwerwiegende Dinge gibt es zu berichten. Nicht nur über sich, auch über die Musiker gibt es Geschichten und Geschichtchen.
„Eine Geschichte gibt uns Ruh“, sang Barbara Thalheim im „Schlaflied für Emilia“. In ihrem Erinnerungsbuch sind es ganz viele Geschichten. Autounfälle, Konzert- und Liederverbote, Unwichtiges und Wichtiges mischt sie durcheinander, verschiebt Zeitebenen, berichtet zum Teil chronologisch, zum Teil über Personen.
Erst auf Seite 309 fällt ihr dann plötzlich ein: „Ich war IM, und ich hatte es vergessen. Vergessen? Oder verdrängt?“ Dann kommt wieder erstmal ein Geschichtchen. Aber irgendwann hatte sie „den Spaß an dem neuen Spiel“, IM zu sein, verloren.
Erst nach der Wende beginnt das Ganze auch für die Sängerin spannend zu werden. Sie stachelt einen Journalisten an, ihre Täterakte einzusehen, und tritt damit eine Lawine los, die sich „im Zweifel gegen die Angeklagte“ wendet. Sie fühlt sich zutiefst ungerecht behandelt, verschweigt aber ihren nachträglichen Gewissenskonflikt nicht.
Sie fährt sogar zu einem Opfer, das dann gar nicht „ihr“ Opfer ist. Aber auf die Frage der eigenen Tochter „Wie konntest du nur unterschreiben - für die Stasi?“ kann sie nur antworten: „Ich konnte. Punkt.“ Dafür mag sie von vielen anderen IMs und Mitläufern Beifall bekommen. Aber sie wird auch mit harscher Kritik leben müssen.
Leider ist ihr Rücktritt und der Rücktritt vom Rücktritt im Buch nur sehr knapp gehalten. Am Ende „sollen weitere Lieblingslieder folgen“. Darüber werden sich Thalheim-Fans freuen, die sicher auch mit diesem Erinnerungsbuch viel anfangen können. Doch ob „Mugge“ mehr ist als ein unsortierter Wust angesammelter Geschichtchen, darf doch bezweifelt werden. Vielleicht sollte Barbara Thalheim doch lieber Lieder schreiben.
Barbara Thalheim, Mugge, Verlag Das Neue Berlin, 2000
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- über-wachung - nils
, 14.08.2007, 19:41
- über-wachung in der ddr - nils
, 20.08.2007, 14:11
- vergessen? oder verdrängt? - nils
, 29.08.2007, 02:30
- über-wachung in der ddr - Dieter
, 06.02.2017, 18:03
- wieder mal die alte leier ... - nils
, 21.08.2007, 23:50
- wieder mal die alte leier ... - Jörg
, 22.08.2007, 10:01
- entschuldigung - und eine klarstellung - nils
, 22.08.2007, 10:32
- entschuldigung - und eine klarstellung - nils
- wieder mal die alte leier ... - annette
, 22.08.2007, 15:44
- "glaubt nie, was ich singe" :-) - nils
, 22.08.2007, 22:49
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, 24.08.2007, 15:22
- "glaubt nie, was ich singe" :-) - annette
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- wieder mal die alte leier ... - Jörg
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- anti-überwachungsdemo im september in berlin - annette
, 27.08.2007, 14:19
- über-wachung in der ddr - nils